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Dunkle Seiten
Es ist Nebel. Du läufst. Läufst davon vor etwas, das du nicht sehen kannst. Du weißt aber, das es da ist. Hinter dir, neben dir, immer in deiner Nähe. Du spürst die eisige Kälte, die dieses Monster umgibt. Die Hoffnungslosigkeit, die von diesem Wesen ausströmt. Es versucht dich zu erreichen. Der Gestank des Todes umgibt dich. Du fühlst dich allein. Hilflos. Hast Angst. Du schreist um Hilfe. Doch der Nebel verschluckt deine Schreie. Du gerätst in Panik. Dein Geist folgt keiner geraden Linie. Die Angst füllt ihn.
Mensch, reiß dich zusammen! Verlier nicht auch noch dein letztes bisschen Verstand! Sonst bist du verloren. Für immer. Keine Chance, dein jämmerliches Leben zu retten. Du rennst. Du fängst an zu fantasieren. Der Wald rückt näher. Deine Angst steigert sich in Hysterie. Es wird dunkler. Dir wird kalt. Bewegen sich dort die Äste? Schnellen sie vor um dich aufzuhalten? Rufen die Blätter nach deinem Namen? Will dich der Wald in eine Falle locken, aus der du nicht entkommst? Damit dass Untier hinter dir näher kommen kann? Seinen knurrenden Magen mit deinem Leben füllen kann? LAUF! RENN! FLIEH! Kann es sein, dass du auf der stelle läufst? Rennst du im Kreis? Dieser knorrige alte Baum, kommt er dir nicht bekannt vor? Bist du hier nicht schon mal vorbei gerannt?
Du weißt es nicht.
Dir ist klar, du hast die Orientierung verloren. Hast dich verirrt. Was sollst du tun? Wohin? Kannst du dich verstecken? Vor dem Biest?
Nein.
Warum läufst du noch? Es ist egal. Bleib stehen. Das Monster wird dich kriegen. Es ist hinter dir. Vor dir. Es ist überall. Du kannst nicht entkommen. GIB AUF! BLEIB STEHEN! Stelle dich dem sicheren Tod. Trete ihm entgegen. Es gibt kein entrinnen. Aufgeben. Eine gute Idee. Stehen bleiben und warten. Nichts tun. Dem Tod entgegentreten. JA!
Du bleibst stehen.
Doch halt! Was ist das? Wer ruft deinen Namen? Hörst du sie? Diese Stimme? Der Glockenklang in der Düsternis des Waldes? Horch! Lausche dem Wispern!
„KÄMPFE! Gib nicht auf! Seh nicht zurück. Bleib nicht stehen und LAUF! Du kannst es schaffen. Kämpfe! Lauf und komm zurück! Kehre wieder zurück! Zu mir!“
Zu Ihr? Zu Wem? Wo sollst du hin? LAUF! RENN! FLIEH! Zu ihr! Renn zu ihr! Zu wem? Lauf weiter! Du hast noch eine Chance. Du kannst dem Monster entkommen! Nutze diese Gelegenheit!
Siehst du? Dort! Zwischen den Bäumen! Dies wunderschöne Wesen? Klein und zierlich. Gleich einer Fee? Hat sie dich gerufen? Kann das sein? Ein Wesen solcher Schönheit? In dieser Finsternis? Sie spricht zu dir. Du sollst ihr folgen. Hörst du sie? Nun los. GEH! Sie kann dich retten. Du zögerst. Dann tust du den ersten Schritt. In ihre Richtung. Doch dann hörst du hinter dir, das Knacken von Zweigen. LAUF! ES KOMMT!
Und du läufst.
Aber halt. Wo läufst du hin? Du entfernst dich von der Gestalt. Fort. In die andere Richtung. Warum? Wieso tust du es? Was? Du glaubst es sei eine Falle? Ausgedacht von der Macht des Waldes? Um dich aufzuhalten, bis das Biest dich erreicht? Du Narr! Nu denn! So lauf! Wende dich vollends ab und renne in dein ungewisses Schicksal. Du wendest dich ab. Verlierst die helle kleine Gestalt aus deinen Augen.
Und etwas zerbricht.
Tief in dir erkennst du die grausame Wahrheit. Mit tödlicher Gewissheit wird dir klar, du hast einen Fehler begangen. Doch es ist zu spät. Du spürst wie das kleine Wesen verschwindet. Es entzieht dich der dunklen Macht des Ungeheuers. Jener Macht die versucht dich zu vernichten. Die Gestalt ist fort. Du bist allein. Auf dich gestellt. Deine letzte Chance vertan? Allein. Hinter dir nichts. Nur die dunkle, kalte Leere des Waldes.
Und das Monster.
Du hörst das Knurren. Das Hecheln. Den Geifer, wie er aus dem Maul des Tieres auf den Boden tropft. Deine Angst ist zurück. Hat sich in deinen Verstand eingenistet. Ein kleiner Parasit. Ein eisiger Hauch streift deinen Nacken. Voller Furcht drehst du dich um. Irgendwo dort. In der Finsternis. Hinter dir. Das Monster. Du spürst seine Gegenwart. Dort ein Blitzen in der Dunkelheit. Was War das? Die Augen? Die Augen der Bestie? Ja. Dieser gierige Blick der dich angrinste. Es war das Ungeheuer. Doch wieder ist es fort. Eingetaucht in die Schwärze. Aber es veranlasst dich schneller zu laufen. RENN! LAUF! Dieser Blick. Dieses Grinsen. Das Monster weiß, du hast einen Fehler begangen. Nicht diesen kleinen Fehler mit der Lichtgestalt. Zu simpel. Zu banal. Nein, dein Fehler ist schwerwiegender. Größer. Aber Was? Was hast du getan? LAUF! FLIEH!
Und die Zeit vergeht.
Deine Lungen brennen. Dein Atem geht hastig. Deine Beine fühlen sich an wie Blei. Alles an deinem Körper verlangt danach auszuruhen. Anzuhalten. Zu rasten. Aber du läufst weiter. Deine Gedanken kreisen. Kehren zu der Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens zurück.
Was bringt dir das weiterlaufen? Du kannst diesem Biest nicht mehr entkommen. Du weißt es. Und das Biest weiß es auch. Es wartet geduldig. Bis sein Opfer ermüdet. Dann schlägt es zu. Es würde nicht sofort töten. Es will, dass du leidest. Der schnelle ehrenhafte Tod sollte dir verwehrt sein. Du solltest den niederen qualvollen Tod sterben. Deine Gedärme sollten aus deinem Magen quellen. Während du noch lebst. Du sollst zugrunde gehen. Elendig. Sollst leiden. Erst danach würde es dich fressen.
Also warum läufst du noch?
Lindere deine Qual. Bleib stehen. Warte. Der Tod wird kommen. Ängstige dich nicht weiter. Dein Schicksal ist besiegelt. Bleib doch stehen. Warum läufst du noch? Welche Hoffnung treibt dich voran? Glaubst du wirklich, den Rand des Waldes zu erreichen? Glaubst du, es GIBT einen Waldesrand? Ohja. Wenn es einen gäbe, könntest du gewinnen. Draußen wäre es hell. Diese Bestie der Nacht verabscheut das Licht. Du weißt es. Du kannst es schaffen. Ja. Lass dich von deiner Hoffnung beflügeln. LAUF Menschlein, LAUF! Du wirst sterben. Wenn nicht heute, dann später. LAUF, du Mensch. Steigere die Lust des Monsters. Renn um dein Leben. Schrei! Habe Angst! Flieh! SCHAU! Dort vorne. Siehst du das Licht? Ist das das Ende des Waldes? Deine Hoffnung steigert sich. Du hetzt weiter. Du kommst dem Licht näher. Es wird größer. Ein Jubelschrei entringt sich deiner Kehler.
Und wandelt sich in einen Schrei des Schreckens.
Begeleitet von dem triumphierenden Gebrüll des Untieres. Du stürzt in die Tiefe. Das Licht verschwunden. Umgeben von Dunkelheit. Du schließt deine Augen. Du fällst. Du wartest. Der Aufprall muss folgen. Du fällst. So lange. So endlos. Dann. Plötzlich. Umhüllt von Blättern. Aufgeschlagen auf dem Boden. Doch nur benommen. Nicht bewusstlos. Langsam richtest du dich auf. Letztendlich bist du doch in seine Falle getappt. Voll Freude hast du den Abgrund übersehen. Du bist gestürzt. Umgeben von Laub. Sitzt du auf dem Boden. Dein ganzer Körper schmerzt. Du bist verletzt. Öffne deine Augen. Riechst du diesen beißenden Geruch? Schau dich um! Was siehst du? Leere. Nichts. Schwärze. Deine Augen nicht gewohnt an diese Finsternis. Konturen schälen sich aus der Dunkelheit. Langsam erkennst du die dinge vor deinen Augen. Du wünscht dir, sie nie geöffnet zu haben. Skelette. Haufenweise. Überall liegen Knochen. Der Gestank der deine Nase berührt. Von den Leichen, die noch verwesen. Zerstückelt. Überall. Arme, Beine, Köpfe. Schmerverzerrte Gesichter starren dich an. Gebrochene Augen. Überall. Einige Knochen fein säuberlich zernagt. Doch kein Ungeziefer. Keine Fliegen. Nur du. Der Gestank. Die Leichen.
Und das Monster.
Keine Zweifel. Diese Höhle. Die Stätte des Ungeheuers. Schau nach oben. Siehst du die Öffnung? Nein. Du bist zu tief. Gefangen. Für immer. Keine Hoffnung mehr. Kein Entrinnen. Stille bricht über dich herein. Du lehnst dich an die Wand. Ziehst deine Knie an den Körper. Deine Hände verkrampfen sich darum. Du wartest. Resignation. Stille. Einsamkeit.
Knurren.
Du hörst das ruhige Atmen der Bestie. Langsam öffnest du die Augen. Vor dir. In der Dunkelheit. Ein Durchgang in der Wand. Zwei Augen. Tiefe. Uralt. Ein Lachen. Über dich. Kurz kehrt die Angst zurück. Doch dein Blick wird von dem der Bestie festgehalten. Keine Boshaftigkeit. Nicht das Urböse, wie du glaubtest. Nur Hass und Zorn. Wut. Wie ein Vater. Du das Kind.
Und du begreifst.
Vor dir. Kein Monster. Es hat dich nicht aus Spaß gejagt. Nicht aus Lust am töten. Es hat seine Aufgabe erfüllt. Die Aufgabe, dich und jeden Menschen, der in sein Revier eindringt zu jagen. Und zu töten. Es wurde hierfür erschaffen. Mit der nötigen Gier. Mit den Instinkten. Um seine Aufgabe gut erfüllen zu können. Du verstehst. Nur eine kleine Rolle. Gespielt von dir. In einem großen Universum. Du erkennst, du bist ein Wesen niederer Natur. Ein Eindringling. Ein Virus. Du musst zerstört werden. Das Leiden welches du entstehen lässt. Es muss dreifach an dich zurückgezahlt werden. Dafür hat es dich gejagt. Du schließt deine Augen. Das Wesen vor dir weiß alles über dich und die Menschheit. Und dein letzter Gedanke.
Du hattest nie eine Chance.
Die Person am Krankenbett fängt an zu weinen.
Diagnose: Tod im Koma.
Désirée Becker
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