Die Herrscher der Nacht hatten ihre Mäntel über dem Land ausgebreitet. Und die Dunkelheit war schon über dem Wald hergefallen, noch bevor die letzten Strahlen von Soria, der Mutter des Lichts, hinter den Hügeln verblaßten. Der Nebel lag über dem Waldboden, wie ein unheilverkündender Bote, leichter Wind raunte durch die Baumwipfel und ließ die letzten Herbstblätter erzittern, wie ein leises Flüstern. Es war kalt, kälter als sonst zu dieser Jahreszeit. Es wurde Winter. Zeit der Mythen und Sagen, die an prasselnden Kaminfeuern den Kindern erzählt wurden, um sie davor zu warnen nachts in den Wald zu gehen.
Niemand ging gerne in den Wald, nicht allein und schon gar nicht bei Nacht. Doch gewisse Umstände forderten von Mejkiador, dass er ging. Allein, denn keiner hatte den Mut aufgebracht, ihm zu folgen. Er galt als einer der Mutigsten unter den Dorfbewohnern, aber auch ihm war etwas flau im Magen, bei dem Gedanken, den Wald bei Nacht zu durchschreiten.
Er versuchte jegliches Geräusch zu vermeiden. Doch jedes Knacken eines Zweiges, jedes Rascheln der Blätter, welche er berührte, dröhnte in seinen Ohren wie ein lauter Donnerschlag. Ihm war bewußt, das Geräusche im Nebel weiter trugen und dass sie einen Menschen leicht verwirren konnten. Der Nebel wurde immer dichter und bald sah Mejkiador kaum noch seine Hand vor Augen. Immer deutlicher kam ihm zu Bewußtsein, dass er sich verirrt hatte. Angst wollte ihn übermannen, schlich sich an ihn heran, wie ein Tier an seine Beute, wollte nach seinem Herzen greifen.
Dann sah er ein Licht in weiter Ferne. Er schritt schneller aus. Seine Gedanken irrten in seine Kindheit zurück. In eine Zeit, wo er als kleiner Junge am Lagerfeuer der Zigeuner gesessen und ihren Liedern und Gedichten gelauscht hatte. An einen Reim in einem Gedicht erinnerte er sich am deutlichsten. Er handelte von Waldhexen die im Nebel nach Verirrten Ausschau hielten und sie in ihr Haus ließen. Doch die Gefangenen durften nie wieder gehen. Die Hexen hatten immer dreizehn Gefangene, immer junge gutaussehende Männer voller Tatendrang. Kam jedoch ein vierzehnter hinzu, musste derjenige, welcher am längsten bei ihnen gewesen war, der erste, sterben. Der Wein den die Männer tranken, war das Blut der Unglücklichen. Das Fleisch, das sie aßen, war das Fleisch derer die sterben mussten.
Ammenmärchen, sagte sich Mejkiador und wischte die dunklen Gedanken beiseite. Bald kam er bei dem Licht an. Es gehörte zu einem kleinen Haus auf einer Lichtung. An diese Lichtung konnte sich Mejkiador nicht erinnern, sie je überquert zu haben. Aber es erschien ihm nicht so wichtig. Aus dem Haus drangen Gesang und Gelächter, der Duft süßen Weines und einer warmen Mahlzeit zu ihm. Er trat an die Tür und wollte klopfen, doch bevor er dies konnte, wurde ihm geöffnet. Flüchtig überkam ihn Misstrauen. Doch zwei so wunderschöne Frauen öffneten ihm die Tür, dass alle Mahnungen seiner Eltern und der Zigeuner vergessen waren. Die Frauen empfingen ihn mit offenen Armen. "Tritt ein, Mejkiador," sagten sie, "wir haben dich schon erwartet!" Er betrat das Haus, eine wohlige Wärme umfing ihn. In einem Zimmer, an einem langen Eichentisch, saßen Männer lustig vom Wein, aßen und tranken. Von der guten Stimmung eingefangen, setzte er sich, auf den einzigen freien Platz, zu ihnen. Die Männer betrachteten ihn sogleich als einen der Ihren und nahmen ihn in ihrer Mitte auf. Nach einem reichhaltigen Mahl gingen die Männer in ihre Zimmer um sich zur Ruhe zu begeben. Das Haus war von innen viel größer, als es von außen den Anschein hatte. Doch das kümmerte Mejkiador nicht, auch er wurde zu seinem Zimmer geführt.
So vergingen die Jahre, es wurde zusammen gelacht un getanzt, gegessen und getrunken, einige Männer gingen, andere kamen hinzu. Niemanden interessierte es, wer sie waren, woher sie kamen und wohin sie gingen. Seine Familie hatte Mejkiador vergessen, die Mahnungen in den Wind geschlagen. Selbst das Gedicht von den Waldhexen hatte er vergessen. Ihm war nie aufgefallen, dass immer nur dreizehn Männer am Essenstisch saßen.
Bis, ja, bis er auf einmal der Erste war..... .
Désirée Becker
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