Jeder ihrer Schritte ließ eine kleine Wolke aus dem Staubigen Boden aufwirbeln. Die Asche, die vom Himmel regnete ließ ihren Mund trocknen und machte ihr das Atmen schwer. Jede weitere Bewegung wurde zu einer Tortur. Ihr gesamter Körper schmerzte, und doch ging sie weiter. Stehts auf das Licht der Fackel zu, welches inzwischen zum greifen nah schien.
Sie stieg die Stufen zu dem runden Schrein hinauf und besah sich das Heiligtum. Die Fackel, welche sie schon von weitem gesehen hatte beleuchtete eine art Halterung, in die ein golden schimmernder Faden gespannt war. Vorsichtig strich sie mit dem Finger über den Faden und es war als würde eine mütterliche Hand über sie streicheln. Immer öfter strich sie über den Faden um jenes Gefühl erneut zu erleben. Und dann überkam es sie. Sie musste ihn haben! Fest entschlossen ergriff sie den güldenen Faden und versuchte ihn aus der Fassung zu bekommen. Sie zog mit aller Kraft. Das Metall schnitt tiefe Wunden in ihre Hände. Blut lief an ihm hinab und färbte das Gold in ein schmutziges Rot, bevor es zu Boden tropfte. Und dann riss er. Mit einem lauten metallenen Klang brach das Material. Ein grelles Licht erfasste ihre Hände. Eine unglaubliche Hitze schien sie zu verbrennen und dann Schwärze... nichts.
Mit einem Ruck schlug sie die Augen auf. Wo war sie? Ein kurzer blick in die Runde verriet ihr, dass sie in einem Krankehaus sein musste. Sie lag, zugedeckt mit den typischen grünen Laken, in einem kleinen Metallbett. Links von ihr war die Tür. Durch die darin eingelassene Milchglasscheibe konnte sie schwach die Konturen des Flures erkennen. Der Blick nach rechts wurde ihr von einem, ebenfalls grünen Vorhang verwehrt. Ansonsten gab es nichts weiter in dem steril wirkenden Raum. Sie stand auf. Langsam und vorsichtig. Doch irgendetwas hielt sie zurück. Sie blickte an sich hinab. Ein Infusionsschlauch war an ihrem Arm befestigt. Mit einer langsamen, beinahe zögernden Bewegung entfernte sie ihn.
Nach ein paar, vor Erschöpfung wankenden Schritten hatte sie das Fußende ihres Bettes erreicht. Um nicht umzukippen suchte sie am Metallrahmen halt und versuchte dann hinter den Vorhang zu schauen. Sie konnte nicht genau sagen ob es Neugierde war, aber irgendwie wusste sie, dass es ungeheuer wichtig war, das sie erfuhr was sich hinter ihm verbarg. Doch so weit sie sich auf nach vorn beugte, sie konnte einfach nicht hinter die Wand aus Stoff sehen. Es schien fast, als würde der Vorhang jede ihrer Bewegungen mit machen und immer frontal zu ihr stehen.
Es half nichts. Sie konnte einfach nichts sehen solange sie sich festhielt. Noch einmal schloss sie die Augen, atmete tief durch und machte dann einen entschlossenen Schritt nach vorne. Sie würde es schaffen, würde das Geheimnis lösen. Noch ein paar Meter und dann... sie schaffte es nicht.
Nicht einmal mehr zwei Meter von dem Vorhang entfernt verließen sie ihre Kräfte. Sie spürte wie ihr Stand unsicherer wurde, und ihre Beine versagten. Mit einem letzten verzweifelten Ruck warf sie sich nach voran. Sie würde nicht aufgeben. Nicht so kurz vor dem Ziel!
Mit ausgestrecktem Arm, den Blick starr auf den grünen Stoff gerichtet kippte sie über. Und noch im Fall spürte sie das raue Webmuster in ihren Fingern und griff fester zu. Mit einem lauten klirren sprangen die metallenen Ösen, welche den Vorhang an der Stange befestigten, davon und dann fiel sie.
Immer tiefer und immer schneller. Der Wind schlug ihr hart und kalt entgegen und trieb ihr Tränen in die Augen. Langsam liefen diese ihr Gesicht hinab und sammelten sich an ihrem Kinn, wo sie vereisten und einen kleinen Zapfen bildeten. Panik stieg in ihr auf. Der Sturz schien ein Ende zu nehmen. längst sah sie nichts mehr außer Dunkelheit. Und dann umgab sie etwas unendlich weiches. Wie eine sanfte Wolke legte es sich um sie, ließ sich einatmen und füllte ihre Lungen. Doch irgendetwas stimmte nicht. Panisch hielt sie die Luft an und kämpfte sich mit strampelnden Bewegungen nach oben. Keuchen und gierig nach Luft schnappend durchstieß sie die Oberfläche des kleinen Sees und kroch an das Ufer. Bloß heraus aus dem kalten Wasser. Hustend und zitternd lag sie, zusammengekrümmt auf dem harten, sandigen Boden. Der Wind blies kalt auf ihre nassen Kleider und ließ sie erschaudern. Und schließlich war es diese Kälte, die sie zwang aufzustehen und den grünen Mantel, aus rauem Stoff, enger um sich zu legen.
Kaum eine Wolke war am Himmel zu sehen und der Sand knirschte bei jedem ihrer Schritte, mit denen sie sich vom See entfernte etwas lauter. Oder waren es nur die alten, schon halb überwucherten Grabsteine, sie mit dem Echo ihrer Schritte spielten? Letztendlich war es ihr auch egal. Schnell, doch auch nicht hastig, schritt sie den Friedhofspfad entlang, geradewegs auf das alte Mausoleum zu, welches keinesfalls einen besseren Anblick bot als der Großteil der Gräber.
Noch bevor sie Türklinke richtig angefasst hatte, schwangen die großen Metalltüren schon, begleitet von einem lauten quietsche auf. Der Raum dahinter schimmerte in einem seltsam gelblichen Licht, das beinahe wie das einer Kerze wirkte, aber sie konnte nirgend eine erkennen. Eben so zielgerichtet wie sie auch schon den Pfad entlang gegangen war, trat sie ein. Vorbei an den steinernen Gruften, eine, durch Feuchtigkeit, brüchige Treppe hinab, in einen großen, kahlen Raum, in dessen Mitte sich ein steinerner Altar befand. Sie schloss die Tür hinter sich, und starrte dann das Wesen, welches auf dem Altar saß an.
Es hatte keinen richtigen Körper, und wenn, so schien dieser aus einem bläulichen Licht zu bestehen. Sein Gesicht war nicht zu erkennen und aus seinem Rücken wuchsen zwei mächtige Flügel. Das Wesen blickte kurz auf, als sie den Raum betrat, doch alsbald sie die Tür wieder geschlossen hatte, wendete es sich wieder dem Schädel zu, den es gedankenversunken in der Hand drehte. Neugierig trat sie näher. Bis dicht an die Hände des Wesens heran. Sie konnte einfach nicht wiederstehen. Langsam streckte sie die Hände aus und legte sie behutsam auf die der leuchtenden Kreatur.
Der gellende Schrei der Kreatur zerriss die Nacht und ein Blitz erleuchtete die trostlose Hochebene für einen Moment und ließ einen die Umrisse der Zerstörten Gebäude deutlich erkennen. Von Krämpfen geschüttelt sprang das Wesen auf, wobei es den Schädel fallen ließ, welcher mit einem klirren, als wäre er aus Glas, in tausende glitzernde Splitter zerbarst. Das Wesen schlug die Hände vor das Gesicht. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Ein lautes knirschen, wie brechendes Eis erscholl und die Haut der Kreatur überzog sich mit, zuerst kleinen und dann immer größer werdenden Rissen. Und dann schlug ein Blitz direkt in es. Seine Haut sprang wie bei einer Explosion in alle Richtungen davon und darunter offenbarte sich ihr ein schrecklicher Anblick.
Komplett in eine schwarze Kutte gehüllt, mit einer großen Sense in der Hand stand er da. Lediglich wenn ein Blitz den Himmel erleuchtete konnte man den dämonischen Schädel unter der Kapuze erkenne. Panisch, erfüllt von Angst schrie sie auf. Sie rannte. So schnell sie konnte. Hinter sich hörte sie das heisere Fauchen ihres Schreckens.
Erst als die Ruinen weit hinter ihr lagen traute sie sich langsamer zu laufen und ließ erneut ihren Blick schweifen. Vor ihr offenbarte sie eine weite, Staubige Ebene. Kein Baum, kein Stein war zu sehen. Lediglich etwas Asche rieselte vom Himmel und blieb auf dem staubigen Boden und in ihren Haaren liegen...
-Bemerkung dazu: Der Surrealismus ist in keinster Weise eine großartige Entwicklung der Menschen. Wir sind uns nur endlich unseren Träumen bewusst geworden-